Der kleine Haris wachte zwar etwas müde
auf, jedoch einigermaßen glücklich, weil er an diesem Tag eine
Doppelstunde seines Lieblingsfaches “Englisch”
haben sollte. Unschuldig wie immer setzte er sich
in Gang und lief langsam gen seiner Schule. Wie
jeden Morgen traf er auf dem Weg seinen Freund Ivan, der nur zwei
Straßen weiter lebte und mit dem Haris gut befreundet war, obwohl
das seine Eltern und Nachbarn nicht gerne sahen. Eine
knappe halbe Stunde später waren sie vor dem Schulgebäude. Die
beiden waren in einer Diskussion darüber vertieft, wessen
Spielkartendeck wohl besser ist, Ivans oder doch das von Haris.
Dieses Gespräch wollten sie nach der
Schule beenden, weil sich ihre Wege nun vor den Schultoren trennte.
Wie jeden Morgen müssen die zwei Freunde verschiedene Eingänge
benutzen. Der Grund dafür ist, dass Haris
ein Bosniake, also ein bosnischer Muslime ist und Ivan ein bosnischer
Kroate, also ein Katholik ist. Die beiden
müssen in streng getrennten Schulgebäuden verweilen und zwar nur
mit Kindern, die ihrer eigenen Ethnie angehören.
Mit den “Anderen”
dürfen sie keinen Kontakt pflegen. Physisch getrennt, nach komplett
anderen Schul-programmen lernend und von den Lehrern einem leichten
“Brainwashing” unterzogen, müssen Kinder von kleinauf
aufwachsen. Einige haben das Glück von
toleranten Eltern erzogen zu werden, die ihnen das Gegenteil zeigen
von dem, was sie in der Schule gelehrt bekommen. Andere Kinder werden
von den Ihrigen auf gleiche Weise erzogen wie in der Schule und
schaffen dadurch Distanz und Hass gegenüber den “anderen”. Ein grauenvoller
Gedanke, dass Kinder nur wegen ihrer Ethnie oder
Religion anders behandelt werden und nur mit ihrer eigenen Ethnie
Kontakt haben dürfen.
So eine Geschichte
muss doch sicher Fiktion sein, oder? Doch
was, wenn die kurze Geschichte vor der eigenen Haustür passiert?
Was wenn “Apartheit” in Europa überlebt hat? EBEN GENAU DAS HAT
SIE!!! Diese Kurzgeschichte war ein fiktives Beispiel dafür, was
tagtäglich in Kleinstädten in Zentralbosnien passiert.
Warte mal,
Zentralbosnien? War das nicht irgend so ein judoslawisches Land?
Genau, Bosnien und Herzegowina ist ein souveräner Staat in
Südost-Europa,
in dem in den 90er Jahren einer der grausamsten Kriege des XX.
Jahrhunderts geführt wurde. Seit
dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 ist das Land politisch in zwei
Entitäten geteilt – der Republika Srpska, dem serbischen Teil, und
der Föderation, die aus Bosniaken und Kroaten besteht. Mit
dem Krieg und auch nach ihm kam es zu starken Migrationen. Dadurch
änderte sich radikal die demografische Karte des Landes.
In
einigen Städten besteht eine demografische Mehrheit nur einer
Ethnie, während in anderen eine Gleichheit existiert. In
solchen Gemeinden kommt es oft zu Spannungen. Die
meisten solcher Kleinstädte gibt es in Zentral- und Südbosnien, wie
z.B. Travnik, Vitez, Mostar, Stolac, Fojnica, Maglaj, Novi Seher. In
solchen Städten ist die Prozentzahl von bosnischen Muslimen und
bosnischen Katholiken fast gleich. (Die
Seiten sind geteilt und es herrscht nur schwache Harmonie.) Die
Kinder werden nach verschiedenen Lehrplänen unterrichtet, die
Kroaten lehnen sich an den Lehrplan aus dem benachbarten Kroatien,
und die Bosniaken arbeiten nach dem Lehrplan aus der Föderation.
Demzufolge werden verschiedene Lehrbücher verwendet, insbesondere in
Fächern wie Landeskunde, Geschichte und der Muttersprache.
Obwohl die linguistischen Unterschiede zwischen dem Kroatischen und
dem Bosnischen minimal sind, werden diese aufgepuscht und ihnen wird
Wichtigkeit zugeschrieben, um einen “Unterschied” zwischen den
Ethnien zu verdeutlichen. Genauso konzentrieren sich die bosnischen
Kroaten im Geschichts- und Landeskundeunterricht mehr auf Kroatien,
während sich die Bosniaken eher auf das Land in dem sie leben
konzentrieren. Zusätzlich werden die Kinder physich
voneinander getrennt, wie im Falle Travnik wo die Schulhöfe mit
Zäunen getrennt sind. Unter Anderem ist der
kroatische Teil der Schule komplett renoviert worden, während der
andere Teil jeden Tag mehr verfällt.
Die Lehrer und
Politiker hegen oft Vorurteile gegenüber den anderen und geben diese
an die Kinder weiter.
Greta Kuna, die damalige
Bildungsministerin des Kantons Mittelbosnien, schockierte die
Öffentlichkeit 2007 mit ihrer unsensiblen Aussage: «Das Projekt der
Zwei Schulen unter einem Dach wird nicht abgeschafft werden, weil man
Äpfel nicht mit Birnen mischen kann. Die Äpfel zu den Äpfeln und
die Birnen zu den Birnen.»
Dazu kommen noch die
Eltern, die entweder tolerant sind und die Kinder dementsprechend
erziehen oder die Meinung der Lehrer unterstützen und den Völkerhass
pflegen. Unter den Kindern ist das Denken
ebenfalls geteilt. Während die einen den
Hass und die Aversion annehmen, würden die anderen gerne Kontakt
haben mit der “befeindeten” Ethnie. Vor allem die
Grundschulkinder wissen oft nicht, wieso diese Trennung besteht und
die Eltern haben dann Probleme, dies zu erklären und geben als
Antwort ein nüchternes “Das ist halt so”.
Daraus gehen
folgende Konsequenzen hervor: die Kluft zwischen Ethnien vertieft
sich, es finden keine Fortschritte hinsichtlich des Zusammenlebens
statt, die Spannung zwischen den Ethnien wird aufrechterhalten,
Kinder werden falsch informiert und dadurch werden zukünftige
Generationen mit Vorurteilen und falscher Denkweise erzogen…